Preisträger 2017

Den Kunstpreis Fotografie 2017 in Höhe von 10.000 Euro erhielt Elke Seeger für ihre Arbeit „Capturing Nature – Fotografische Erkundungen“ / Zoo_2016/17.

Förderpreise in Höhe von jeweils 5.000 Euro gingen an Lia Darjes für „Tempora Morte“ und Ira Thiessen für „PRIVET GERMANIA“.

Elke Seeger

Lebenslauf
*1966

  • 1987/88 Mitarbeit im Verein Goppinger Mühle e.V. in Niederbayern, erste fotografische Arbeiten, Aufbau einer Dunkelkammer mit Unterstützung des Bildhauers und Kunstgießers Godfried Kroes
  • 1989-91 Ausbildung zur Fotografin an der Bayerischen Staatslehranstalt für Photographie in München
  • bis 1993 Bilddokumentarin für Bildagenturen Bavaria und Tony Stone in München
  • 1994-96 Fortbildung zur Computergrafikfachfrau in Berlin, Tätigkeit als Bilddokumentarin für die Bildagentur KPA
  • seit 1997 Fotoredakteurin für die Tageszeitung taz, Berlin

Bewerbung

Zoo_2016/17
Herzlich willkommen… im größten Erlebnis-Tierpark Europas! Mehr als 6.500 exotische Tiere leben hier in einer abwechslungsreichen, weitläufigen Parklandschaft mit historischem Schloss und vielen Highlights. Entfliehen Sie dem Großstadt-Trubel und gehen Sie mit uns auf Weltreise! (Tierpark Berlin)

Capturing Nature – Fotografische Erkundungen
(A Work in Progress)

Als Anfang März diesen Jahres der kleine Eisbär Fritz aus dem Berliner Tierpark starb, war das Medienecho groß. In der Berliner Zeitung war zu lesen, dass auf der Facebook-Seite von Zoo und Tierpark mehr als 250.000 Menschen die Nachricht von Fritz’ Tod registrierten. In vielen Zeitungsbeiträgen ging es sowohl um die emotionale Anteilnahme am Tod des jungen, niedlichen Raubtiers als auch um Fragen nach der artgerechten Haltung in der künstlichen Umgebung. Nachrichten und Fotografien aus Zoos in den Medien sind beliebt. Ambitionierte Fotograf*innen beschäftigen sich gerne auch in freien Arbeiten mit dem Sujet. Dabei gilt das Interesse vieler dem Spannungsverhältnis von Konstruiertem und Natürlichem (http://muybridgeshorse.com/tag/zoo/).

„…kaum etwas ist aufschlussreicher im Hinblick auf Fotografie und Inszenierung als Sujets zwischen Lebendigkeit und Erstarrung zwischen Schauanordnung und Fürsichsein.“ stellt der Kunsthistoriker Christian Janecke in seinem Essay ‚Inszenierte Fotografie‘, ‚Inszenierende Fotografie‘ und Fotografierte Inszenierung‘ – am Beispiel von Schauanordnungen für lebende und tote Tiere“ ** fest. Wo beginnt die Inszenierung? Was ist das Authentische? Wie bildet sich Wirklichkeit in der Fotografie ab? Diese Fragen beschäftigten auch mich, als ich mich im Oktober 2016 entschloss, in den Berliner Zoos zu fotografieren.

Ausgebildet in der analogen Fotografie und Dunkelkammertechnik setzte ich zum ersten Mal meine Digitalkamera (Fuji XT1) ein, um mich einem Thema intensiver zu widmen. Das handliche Format der Kamera kam mir entgegen, weil ich Lichtstimmungen und Bewegungen der Tiere spontan festhalten konnte. Ich verließ mich bei der Wahl von Blende, Belichtungszeit und Schärfenregelung stets auf die Kameraautomatik. Mein Blick ist fokussiert, in der Regel wählte ich eine Brennweite von 55mm. In der Postproduktion (durch Astrid Högner/Termindruck, Berlin) wurde nichts an den Bilddateien verändert. Es wurden lediglich die nötigen Anpassungen für den Ausdruck vorgenommen. Dabei ist eine Bildserie von 20 Motiven entstanden, von denen Ihnen eine Auswahl vorliegt.

Die Fotos zeigen Landschaften, Räume, Tiere. Lichtführung, Raumauffassung oder Größenverhältnisse verleihen den Bildern einen surrealen Charakter. Wenn ich nun die Einladung des Tierparks annehme und den Zoobesuch als Weltreise verstehe, sind dann meine Fotos eine fiktive Reisereportage? Sind sie eine Chiffre für den Zustand der Welt?

Mein Interesse gilt der Mehrdeutigkeit: Könnte ich mir das auf die Betonwand gemalte Zebra nicht auch als ein lebendiges vorstellen? Wenn ja, warum? Sehe ich wirklich nur EINE Giraffe und ihren Schatten? Ist der Leopard im Käfig oder in Freiheit? Lacht mich die Seekuh an? Meine Arbeit ist ein Plädoyer für das offene und genaue Betrachten und für die Kraft der Fantasie.

** aus: „Die Fotografische Wirklichkeit – Inszenierung, Fiktion, Narration“, Lars Blunck (Hg.), 2010 transcript Verlag, Bielefeld

Jurybegründung

Elke Seeger zeigt hier, wozu offenes und vor allem genaues Sehen fähig ist. Es kann der Mehrdeutigkeit zu einem Ausdruck verhelfen, wo wir (zum Beispiel als Zoobesucher) mit allzu einfachen Bildern konfrontiert werden. Seegers Bilder haben eine subversive Kraft: Sie zeigen die Dinge in ihrer Inszeniertheit, ohne auf die durch die Inszenierung intendierten Bilder herein zu fallen und diese bloß zu reproduzieren. Darin zeigt sich die große Meisterschaft, mit der sich die Fotografin Fragen der Wahrnehmung und der Bildproduktion stellt. [Auszug Jurybegründung]
 

Lia Darjes 

Lebenslauf

  • seit 2015 Tutorin und Teilnehmerin der Meisterklasse Prof. Ute Mahler und Ingo Taubhorn an der Ostkreuzschule Berlin
  • 2016 Prix Voies-Of, Finalistin
  • 2014 September ‚artist in residence‘ in Kaliningrad, Russland, eingeladen vom Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop
  • 2014 DAAD – Stipendium
  • 2013 VG Bildkunst – Stipendium
  • seit 2012 Mitglied der Fotografenagentur Picturetank (Paris)
  • 2012 Neuland-Award
  • seit 2011 selbstständig als Fotografin tätig
  • 2011 Diplom Kommunikationsdesign, Schwerpunkt Fotografe HAW Hamburg/Prof. Ute Mahler

Bewerbung

Tempora Morte (2016)

Im Herbst vor drei Jahren lud mich das Künstlerhaus Lukas für einen Monat nach Kaliningrad ein. Die russische Exklave zwischen Polen und Litauen – ehemals Ostpreußen – ist ein isolierter Ort, der wenig Entwicklung erfährt und der seine Vergangenheit auf eigentümliche Weise konserviert hält.

In dieser stillstehenden Atmosphäre entdeckte ich eine visuelle Situation, die mich nicht mehr losließ: Jeden Tag entstehen an den Straßenrändern kleine inoffizielle Märkte, auf denen alte Frauen die bescheidene Ernte ihres Gartens oder des benachbarten Waldes zum Kauf anbieten um ihre Rente aufzubessern. Man sieht drei Äpfel, ein Bund Johannisbeeren und zwei Knollen Knoblauch auf einer einfachen Holzkiste. Zu anderen Jahreszeiten vielleicht zwei Glas selbstgekochte Erdbeermarmelade und drei Knollen rote Beete auf einem Campingtisch bis hin zu getrockneten Flundern oder etwas Bernstein auf bloßem Zeitungspapier.

Die Präsenz der Waren und die Art ihrer Darbietung faszinierten mich so sehr, dass ich 2016 insgesamt viermal nach Kaliningrad reiste, um sie in einer Stilllebenstudie zu dokumentieren.

Das Warenangebot erinnerte mich an die Motive der klassischen Tradition des barocken Marktstilllebens und übte in seiner Einfachheit die Sehnsucht nach einer Welt ohne industrialisierten Handel in mir aus. Gleichzeitig stört die Materialität der Verpackungen, Tische und Tischdecken diesen Gesamteindruck.

Eine scheinbar romantische Ursprünglichkeit trifft auf die Banalität und Rauheit des Alltags im Kaliningrad des 21. Jahrhunderts, wobei sich der gefühlte Rückgriff auf eine mythisch-stillgestandene Zeit – eine Art simulierte Erinnerung – für mich bezeichnenderweise erst in der Fotografie manifestiert und im Moment des Fotografierens noch nicht vorhanden ist.

In Tempora Morte geht es mir darum, anhand von klassischen Verweisen herauszufinden, wie sich das Genre Stillleben heute positionieren lässt. Ich will das ästhetische Zusammenspiel von Referenz und Dokument ausloten.

Jurybegründung

Lia Darjes Arbeit wirft einen Blick auf die Konditionen unserer Gesellschaft mit unterschiedlichen sozialen Schichten, ökonomischen Systemen und ihren Zwischenräumen, die Freiräume bedeuten können, aber auch auf die basalen Determinanten existenzieller Notwendigkeiten verweisen. Jene Reflexion verweist durch ihre spezifische Bildsprache nicht nur auf die (kunsthistorisch aufgeladene) Schnittstelle zwischen Malerei und Fotografie, sondern verweist vor allem auf Kunst als ästhetische Praxis der kritischen Alltags- und Gesellschaftsbetrachtung. [Auszug Jurybegründung]


Ira Thiessen

Lebenslauf
Ira Thiessen wurde 1983 in Bishkek/Kirgisistan geboren. Im Alter von sieben Jahren wanderte ihre Familie mit ihr nach Deutschland aus. Sie wuchs in einer kleinen Stadt im nordöstlichen Nordrhein-Westfalen nahe Bielefeld auf. 1999 absolvierte sie eine klassische Friseurausbildung.
Ihren Abschluss in künstlerischer Fotografie machte sie 2015 mit dem Fotoprojekt „Privet Germania“ bei Ludwig Rauch an der Ostkreuzschule in Berlin. Des weiteren verfolgt sie ihre Fotoprojekte außerdem in Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Heute lebt und arbeitet Ira Thiessen als freie Fotografin in Berlin.

Bewerbung

PRIVET GERMANIA

In ihrer vermeintlichen „Heimat“ angekommen haben sie sich integriert, aber ihre Identität ist keine rein deutsche. Vor dem Hintergrund ihrer langen Geschichte im Zarenreich und später der Sowjetunion bildeten sich nach ihrer Rückkehr nach Deutschland spezifische Formen einer eigenständigen Kultur heraus.

Die Frage nach dem Einfluss gesellschaftlicher und kultureller Veränderungen auf die sogenannte hybride Identität der Russlanddeutschen habe ich zum Thema meiner Arbeit „PRIVET GERMANIA“ (dt. Hallo Deutschland) gemacht. Mich interessiert, inwieweit sich die sogenannte „deutsch-russische Kultur“ von außen betrachtet erkennen lässt. In meinen inszenierten Portraits verbinde ich dabei Elemente des Theaters und der Atelierfotografie.

Das Zusammenspiel von Requisiten und dem immer vorhandenen Vorhang im Hintergrund, unterstreicht die Individualität der Abgebildeten und isoliert sie aus deren Privatsphäre.

Die Arbeit besteht aus zwei Präsentationformen. Den klassisch gerahmten Portraits (60 x 80 cm) an der Wand und den im Raum hängenden Vorhangausschnitten (20 x 30 cm) auf Acrylglas, die vor den jeweiligen Portraits platziert werden.

Durch die konzipierte Installation ergeben sich für den Betrachter zwei Betrachtungsmöglichkeiten. Der Blick von außen, der oft auf oberflächlichen Vorstellungen verweist und der Blick von innen, der Einblicke in die Kultur und Identität der Russlanddeutschen erfahrbar macht.

Jurybegründung

Ira Thiessen ging originell an ein Thema heran, das zu den relevantesten und aktuellsten gehört, die derzeit die Menschen bewegen. So unterschiedlich diese Porträts sind, die mal Zerrissenheit, mal kulturellen Reichtum, mal die Erinnerung an eine oder mehrere verlorene Heimaten betonen, als so überzeugend wird das künstlerische Konzept und die Intensität des Ergebnisses empfunden. [Auszug Jurybegründung]