Preisträger 2006

Nach Anhörung der unabhängigen Fachjuroren gehen die Kunstpreise zu gleichen Teilen an:

Kunstpreis Literatur je 5.000 €

  • Rabea Edel aus Berlin
  • Arne Roß aus Berlin

Kunstpreis Fotografie je 5.000 €

  • Frank Gaudlitz aus Potsdam
  • Oliver Kern aus Berlin

Rabea Edel erhält den Kunstpreis für Ihren Roman „Das Wasser, in dem wir schlafen“. „Eine Familie zerbricht an sich selbst. Rabea Edel beschreibt in ihrem Buch „Das Wasser, in dem wir schlafen“ in immer wieder überraschenden Bildern das Entgleisen der Gefühle. Die Eltern und die beiden Töchter entgleisen durchs große Gewicht der kleinen Probleme. Der Verstand im Kopf scheint den Körper nicht auszuhalten und das Fleisch am Körper nicht den Verstand – das scheint ein Gesetz zu sein.
Die Personen leiden an der Leere viel zu vieler Gefühle, also an der Fülle der Gefühle, die sie haben, aber mit denen sie „nichts mehr anfangen können.“ Alles, was dem einen geschieht, misst sich am anderen. Die Vertrautheit untereinander, die Intimität gerät zur vertrackten Konkurrenz. Und die konkurrierenden Empfindungen verwandeln Zärtlichkeit haarspalterisch in Brutalität. Durch wiederkehrende Motivkreise, verblüffende Dialoge und Porträts gelingt Rabea Edel ein Roman über das zerstörerische Manöver der Abhängigkeiten. Je größer die Behutsamkeit in der Beziehung, um so schroffer kippt sie und wird zu einer Abhärtung gegen das Glück“, so Herta Müller in ihrer Jurybegründung zur Preisvergabe.

Arne Roß gelingt mit „Pauls Fall“ ein außergewöhnlicher Roman über den womöglichen letzten Lebenstag eines alten Mannes.
„Mit erzählerischer Akribie begleitet Roß seinen todgeweihten Helden, der auf einer letzten Runde das ihm vertraute Terrain abschreitet, um „noch ein paar Dinge zu erledigen“. Dabei entstehen Bilder von seltener Ruhe und Eindringlichkeit, und trotz der Alltäglichkeit dieser Erledigungen wächst untergründig eine Spannung, die selbst ein Kaffeetrinken unter alten Bekannten unheimlich erscheinen lässt. Arne Roß konzentriert das Erzählen auf die Bewegungs- und Wahrnehmungsabläufe eines alten Mannes, dabei hat er den Mut, den Versuch seines Helden, die Uhr über der Küchentür abzulesen, ganze zwei Seiten zu widmen: es sind die ersten beiden Seiten des Romans. Damit führt uns Roß von Beginn an ein in die Gangart der Geschichte am Ende eines Lebens. Wie in Zeitlupe führt Roß seinen Helden an einem Abgrund entlang, der nie sichtbar wird, aber immer spürbar bleibt“, so das Juryurteil, verfasst von Lutz Seiler.


Frank Gaudlitz – 
Die Fotografien für sein Projekt „casa mare”, was als der große Raum übersetzt werden könnte, entstanden im Norden Rumäniens im Maramures-Gebiet.
„In dieser armen bäuerlichen Kultur Osteuropas bat er Frauen, Kinder und Männer unterschiedlichsten Alters darum, sich festlich zu kleiden und sich in einem besonderen Raum, der vorzugsweise die sogenannte „gute Stube“ sein sollte, fotografieren zu lassen. Zweifellos geht es in seiner Arbeit darum, Bilder von einer regional begrenzten Kultur zu überliefern, die sich in unserer multikulturellen Welt nicht erhalten wird. Aus diesem Wissen heraus, traf Frank Gaudlitz die Entscheidung, die Menschen als Ganzfigur in ihren Lebensräumen zu fotografieren und zusätzlich stilllebenhafte Detailaufnahmen aus diesen Innenräumen zu zeigen. In seinen Aufnahmen trifft man auf Menschen, deren Natürlichkeit in unseren Breiten so kaum mehr zu finden ist und auf eine Lebensweise, die man als authentisch erlebt. Die Jury hat sich für Frank Gaudlitz entschieden, weil ihm mit seinen Fotografien eine kongeniale Umsetzung seiner Projektidee gelang“, heißt es in der Jurybegründung von Ulrich Domröse.

Oliver Kern – Bildauskunft und Identität: „Die deutsche Aussicht“
„Sich ein Bild von dem Ort zu machen, der prägend ist, weil man sich ihm zugehörig fühlt, ist gar nicht so einfach, zumal, wenn wir ihn gut kennen und die persönlichen Vorstellungen, die wir mit vertrauten Lokalitäten und Gegenden verbinden, außerdem mit allgemeinen Ansichten, die über unsere eigenen hinausgehen, verknüpft sind: Zu Hause ist man meistens zweimal, bei sich und bei anderen, mit denen man den „gleichen“ Lebens- und Kulturraum teilt.
Oliver Kerns fotografische Reihe „Die deutsche Aussicht“ ist der gelungene Versuch, beides zu zeigen, die individuelle Zugehörigkeit und die übergeordnete, vermittelte Verbundenheit mit Land und Leuten, mit symptomatischen Vorfällen und Anstrengungen heute in Deutschland zu leben, wobei seine „Ansichten“ nicht nur zeigen, was auf ihnen zu sehen ist, was sie auf unterschiedliche Weise bildlich erzählen, sondern sie verweisen auch auf Bildtraditionen, die ihnen vorangegangen sind, die in der Regel kaum bewusst sind oder auf eine neue Weise rekonstruiert werden müssen. Genau das leisten die Fotografien von Oliver Kern, weil sie in den aufgesuchten Orten (Köln, Belzig, Voreifel, Leverkusen, Berlin, Meersburg, Wilhelmshaven, Ochsenhausen, Stuttgart, Ragow, Waltershausen, Düsseldorf, Raststätte Dollenberg) Bildinhalte aufspüren, die zwar ganz den „spontanen“ Umständen verpflichtet sind, unter denen sie beobachtend entstanden sind, sich aber nicht darauf beschränken: „Die deutsche Aussicht“ von Oliver Kern offeriert Bildidentitäten, Bilder aus Deutschland und über Deutschland, auf die ich mich einlassen kann, denen ich zustimmen möchte, möglicherweise nicht immer, vielleicht bin ich auch nur teilweise mit ihnen einverstanden, habe abweichend von diesen Ansichten eigene Akzente, die ich gern setzen würde. All das ist möglich, ist intendiert und jede hinzukommende Meinung bzw. Ansicht bereichert diese Reihe ganz erheblich“, so die Jurybegründung von Prof. Dr. Arthur Engelbert.