Preisträger 2008

Nach Anhörung der unabhängigen Fachjuroren gehen die Kunstpreise an:

Kunstpreis Literatur

  • Julia Schoch für den Romanauszug „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ (7.000 €)
  • Martin Becker für seine Erzählungen „Ein schönes Leben“ (Förderpreis in Höhe von 3.000 € ).

Kunstpreis Fotografie je 5.000 €

  • Vincent Voignier mit „Gipsy Homestories“
  • Torsten Warmuth mit „It´s a Man´s World“

 

Julia Schoch

Julia Schoch wurde am 17. Mai 1974 in Bad Saarow geboren. Aufgewachsen ist sie in Mecklenburg.
Studium Germanistik / Romanistik in Potsdam /Paris Bukarest.
Seit 2003 freie Autorin und Übersetzerin.
2003 Hermann-Lenz-Stipendium.
2005 Preis der Jury beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt.
2005 Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung.
2006 Dresdener Stadtschreiberin und Stipendium des Deutschen Literaturfonds.
2007 Stadtschreiberin von Rheinsberg.
2007/08 Jahresstipendium aus dem Else-Heiliger-Fonds der Adenauer-Stiftung.
Lebt in Potsdam.

Jurybegründung
Der diesjährige Literaturpreis der LAND BRANDENBURG LOTTO GmbH 2008 wird der in Potsdam lebenden Autorin Julia Schoch zugesprochen. Ihr Romanauszug „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ besticht durch seine tastende, sprachlich fein gearbeitete Art. Zwei Schwestern, innig verbunden, verlieren sich durch den Freitod der älteren von beiden. Dieser Tod an einem fernen Ort ist die Unruhestelle, von der aus die jüngere Schwester in die inzwischen ferne Vergangenheit gerät: an den Ort ihrer Kindheit, in die Tristesse einer ostdeutschen Kasernenstadt nahe der polnischen Grenze. Schoch entwickelt dabei eine ihr eigene analytische und poetische Sprache, die es vermag, dem erinnernden Erzählen Kraft zu verleihen. Ihre Sprache bringt die Dinge zum Schweben über die Zeitläufe hinweg. Die Autorin vertändelt ihre sprachlichen Energien nicht im bloßen Ausmalen der Vergangenheit, sie sucht genau jene neuralgischen Punkte, an denen die zukünftige Zeit bereits zum Vorschein kommt. Hendrik Röder

Martin Becker

Martin Becker wurde 1982 in Attendorn geboren.
2002 Bundespreisträger beim „Treffen Junger Autoren“ der „Berliner Festspiele“.
Studium am Leipziger Literaturinstitut in den Fächern Prosa und Dramatik/Neue Medien.
2005 Stipendiat der Autorenwerkstatt Prosa des „Literarischen Colloquiums Berlin“ unter der Leitung von Katja Lange-Müller, Terézia Mora und Dieter Stolz. Journalistische Arbeiten, zunächst für den Hessischen Rundfunk und mdr, schließlich und bis heute Reportagen, Features und Glossen für WDR 3, die Kulturwelle des Westdeutschen Rundfunks.
2007 von Klaus Nüchtern zum Ingeborg-Bachmann-Preis eingeladen. Ebenfalls 2007 Ausgezeichnet mit dem GWK-Förderpreis Literatur.
In Prag gemeinsam mit dem tschechischen Autor Jaroslav Rudis Arbeit an einem Hörspiel mit dem Titel „LOST IN PRAHA“, welches im Frühjahr 2008 bei WDR 3 und 1Live ausgestrahlt wurde.
2008 Stipendiat für Literatur der Märkischen Kulturkonferenz (MKK). Lebt und arbeitet in Berlin.

Jurybegründung von Lutz Seiler
„Ein schönes Leben“ ist der Titel einer Sammlung überaus gelungener Erzählungen des jungen Autors Martin Becker. Mit Sarkasmus und Genauigkeit zeichnet Becker Figuren, die der Logik der Provinz unterliegen, vor allem aber ihre eigenen Grenzen nicht zu überwinden vermögen. Martin Becker erzählt professionell, er verfügt über Sprachwitz und Rhythmusgefühl. Virtuos bedient der Autor die Klaviatur der Groteske, ob es sich um die Installation eines überdimensionalen Super-Kaffee-Automaten („Dem Schliff sein Tod“) oder, wie in der titelgebenden Posse, um den alle Konventionen brechenden Besuch Heraklits auf dem Lande handelt. Ihre Ausweglosigkeit ist es, die Beckers desolate Figuren miteinander verbindet – Becker gelingt es, sie uns näher zu bringen und das bekannte Wort von der Provinz, die, wie es heißt, überall ist, eindrucksvoll zu belegen.

Vincent Voignier

1971 in Longjumeau (Frankreich) geboren
1989 Studium der Physik in Marseille und Nizza, Promotion.
Seit 1997 Reise-, Dokumentar- und Portrait-Fotografie in verschiedenen Ländern.

Gipsy Homestories Mancherorts in Rumänien und der Republik Moldau stehen Häuser, die aussehen wie Märchenschlösser: In monumentaler Größe überragen sie die traditionellen Einfamilienhäuser, Türmchen ragen in den Himmel, und mit Zink gedeckte Dächer schimmern im Licht. Die Grundstücke sind gesäumt von schmiedeeisernen Zäunen, nicht selten bewacht von Furcht einflößenden Hunden, auf der Auffahrt stehen große Autos. Seltsam deplatziert wirken diese Bauten in ihrer Umgebung; der eine oder andere westeuropäische Besucher ist verblüfft, und die ordentlichen «Gadjos» in der Nachbarschaft äußern sich abfällig über diese architektonischen Grausamkeiten oder belächeln die Entfaltung von Kitsch.

Diese Gebäude wurden von Roma gebaut. Es gibt inzwischen eine durch Metall-Recycling reich gewordene Schicht von Roma, die ihren Wohlstand voller Stolz zur Schau stellt.
Auch in der Innenausstattung treibt ihre Bauwut mitunter bizarre Blüten: Riesige Säle in Marmoroptik werden eingerichtet, von denen Doppeltreppen abgehen, Türme sind nicht betretbar, da sie offensichtlich nur zur Zierde gebaut wurden, luxuriöse Küchen bleiben unbenutzt, da in alten oder provisorischen Küchen gekocht wird, manchmal auch draußen, und ganze Etagen stehen leer, während die Familien lediglich ein paar Räume bewohnen.
Die Gestaltung scheint häufig inspiriert zu sein von Neuschwanstein, Disneyland oder «Dallas». Es scheint, diese Häuser wurden eigentlich nicht zum Wohnen und Leben erbaut, sondern eher zum Repräsentieren: Es gibt oft Säle, die nicht geschlossen sind, mehrere riesige Räume, zum Teil unmöbliert, gehen ineinander über. Die Familien inszenierten sich selbst inmitten ihrer prachtvollen Dekors. In ihren Häusern wird anschaulich, wie Menschen aus einem ursprünglich fahrenden Volk ihren Lebensraum gestalten, wenn sie sesshaft werden, was für Szenerien entstehen, wenn Menschen ohne eine traditionelle Wohnkultur plötzlich die Möglichkeit haben, ihre Träume vom Wohnen zu verwirklichen.
Die Fotos entstanden im Spätsommer 2007.

Torsten Warmuth

1968 in Hildburghausen/Thüringen geboren.
1980 Seit früher Kindheit Berührung mit Fotografie durch den Vater, einen Gebrauchsfotografen.
1995 Nach Studium der Naturwissenschaften Promotion an der Universität Kassel.
1998 Aufenthalt in New York, die Serie “New Walk” entsteht.
2000 Verlegung des Ateliers nach Berlin-Kreuzberg, weitere Reisen nach New York.
2005 Arbeit am Zyklus “Nachtsammler” in Buenos Aires.
2007 Kairo, Zyklus “It’s a Man’s World”.

It’s a Man’s World Kairo, das ist eine Metropole aus Machismo und Männlichkeit. So jedenfalls hat sie der Berliner Fotograf Torsten Warmuth gesehen, als er die Stadt 2007 besucht hat. Kairo erinnerte ihn da an ein altes Klagelied von James Brown: „This is a man’s world, but it would be nothing without a woman or a girl“. Seiner dort entstandenen Fotoserie hat Warmuth daher genau diesen Titel gegeben: It’s a Man’s World. Wie in dem gleichnamigen Lied beschreibt auch Warmuth Szenarien Gehetzter und Verlorener. Er zeigt junge Kerle unter der Knute alter Männer und verschleierte Frauen, die sich willfährig in männlichen Strukturen fügen. Ob auf Basaren oder in alten Khawas: Selten scheinen seine siebzehn Einzelbilder den unbeschwerten Duft von Weiblichkeit zu atmen. Doch trotz dieser maskulinen Maskeraden: Letztlich bleibt das Kairo-Bild auf Warmuths Fotografien unkonkret. Diese Tableaus sind nicht touristisch. Weder zeigen sie die großen Moscheen, noch die bedeutende islamische Universität. Für Torsten Warmuth ist Kairo eine austauschbare Bildfolie – eine Bühne für urbane Raumbilder. Wie bereits in früheren Arbeiten des Fotografen geht es um das Sammeln traumhaft hingesagter Stadtszenerien. Diese hat Warmuth so oder ähnlich auch schon in Buenos Aires oder New York vorgefunden. Jenseits des Konkreten – der Moden oder der Accessoires – scheinen ihm Städte nur Spielflächen für immergleiche Erscheinungen zu sein. Am eindringlichsten untermauert dies ein aus zwölf Einzelbildern bestehendes Foto-Vlies. Zwar sind die Menschen auf diesen Bildern eindeutig als arabisch zu erkennen, stilistisch jedoch sind sie nicht anders dargestellt, als das Bildpersonal auf Warmuths früheren Serien: Mit langgezogenen Belichtungen erzeugt der Fotograf Unschärfen, sorgt für Auflösungen und Verwischungen. Diese lösen die dynamischen Vordergründe aus den starren Tiefen heraus. Mit seiner Großbildkamera stemmt sich Warmuth gegen das Verfließen der Zeit. In den riesenhaften Metropolen – im Stakkato des Verkehrs und dem „Blickwispern“ der Passanten – isoliert er Sekundenbruch-stücke. Mittels Montagen und Doppelbelichtungen formt er aus chronologischem Nacheinander rhythmisches Nebeneinander.
Hier stemmt sich Vorder- gegen Hintergrund, ordnet eine vertikale Trägheit das horizontale Dahinströmen. Vor schweren Rollläden bahnen sich anonyme Passanten ihren Weg durch die afrikanische Megacity. Während die herabgelassenen Eisenlamellen eine geometrisch wohlgeordnete Kulisse formen, huschen davor Menschen in die Anonymität der Großstadt hinein. Diese Fremden sind Geheimnisträger. Weder sehen wir ihre Gesichter, noch erahnen wir ihre Ziele. Für einen kurzen Moment eliminiert aus der Zeit, bleiben sie kaum mehr als Wahrnehmungsschleier. Als beziehungslose Passanten formen sie den Echo-Effekt eines fotografischen Flanierens. Denn wie die großen Flaneure des fine de siecle, erschließt sich auch Torsten Warmuth die urbanen Steinwüsten als optische Expedition. Wie sie, begreift er den Stadtraum als das Extrem der Moderne: Kairo, das ist nicht mehr als eine subjektive Träumerei; ein sich stets erneuerndes Betrachtungsfeld.                                                                                           (Ralf Hanselle)

Jurybegründung von Michael Biedowicz, Dr. Enno Kaufhold, Carmen Schliebe
Überraschende Fotografien fremder Kulturen
Vincent Voignier und Torsten Warmuth Kennen wir die Welt? Ist tatsächlich bereits alles fotografiert worden, wie immer wieder behauptet wird, und gibt es deshalb keine neuen, unverbrauchten Bilder mehr? Vincent Voignier und Torsten Warmuth geben darauf die Antwort, sie überraschen in Thema und Form. Über das Leben der Roma scheint alles gesagt zu sein, wir kennen die Geschichten wie die Bilder: Freiheitsliebe, Wildheit, Lebensfreude, Feste, Musik und Tanz kommen uns ebenso in den Sinn, wie das Nichtsesshafte, Armut, Bettelei, Kriminalität und Diskriminierung. Vincent Voignier Farbserie „Gipsy Homestories“ zeigt uns reiche Roma in faszinierenden Interieurs, wie er sie in Rumänien und in der Republik Moldau angetroffen und dann besucht hat. Voller Stolz und scheinbarer Unbefangenheit präsentieren sich die Frauen und Männer selbstbewusst in ihrem luxuriösen Ambiente, das echten Glamour als auch bis in den Kitsch gehenden Geschmack erkennen lässt. Mit der Großbildkamera in bestechender Präzision fotografiert, begeistern die Bilder durch ihre Detailfülle. Blicken wir hier in mentale wie reale Innenräume, so hat Torsten Warmuth mit nicht minder ausgeprägten soziologischen Implikationen, aber anderem Ansatz seine Schwarz-Weiß-Serie „It’s a Man’s World“ auf Kairos Straßen, also im Außenraum fotografiert. Sein Thema ist der Machismo der arabischen Welt, wie er sich auf den Straßen dieser Megametropole zeigt: Männer, die in tradierten Gewandungen geschäftig an Häuserwänden vorbei eilen, Taxifahrer mit lässig gehaltenen Zigaretten durch das offene Türfenster gesehen – eine Welt, in der die Frauen nichts zu sagen haben. Im Widerspruch dazu eine im internationalen Look sexualisierte Schaufensterpuppe. Der Dynamik der Stadt entlehnt weisen die Bilder Bewegungsunschärfen auf, die mit den bräunlich getönten Fotopapieren ästhetisch eine Synthese eingehen.
Beide Bildserien visualisieren Lebensbereiche, einerseits private, andererseits öffentliche, die wir so bislang nicht vor Augen hatten. Sie verändern unsere Weltwahrnehmung und das in fotografischen Formen, die auf ihre je eigene Weise überzeugen.